Warmer Sound – auch digital?

Jeder kennt den oft verpönten kalten digitalen Klang oder hat schon von analoger Wärme gehört. Doch gibt es wirklich Geräte, Plugins oder Bearbeitungsschritte, die einen Sound wärmer klingen lassen können? Versuchen wir mal ein bisschen Klarheit in dieses Thema zu bringen.

Was bedeutet warmer Sound?

Nun am Ende hat jeder seine eigene Definition von warmem, kaltem oder gutem Sound, aber doch gibt es diverse Gründe und auch Audio-Phänomene, die von vielen als wärmer klingend empfunden werden:

Gedämpfte Höhen

Lange Kabelstrecken, viele analoge Bauteile und Schaltungen, die durchflaufen werden – all das kann in der Summe einen deutlichen, technisch negativen Einfluss auf hohe und auch tiefe Frequenzen haben. Dieser Verlust von Bässen und Höhen rückt wiederum den Hauptbereich vieler Instrumente in den Fokus und lässt diese sanfter und natürlicher erklingen.

Moderne Schaltungen und digitale Aufnahmemedien sind jedoch gebaut um möglichst linear und unverfälscht zu klingen – daher kann das Mikrofon, welches durch analoge Channelstrips gejagt wurde und dann auf Tape aufgenommen wurde deutlich anders/wärmer klingen, als wenn es direkt an ein Audiointerface angeschlossen und auf einer Festplatte aufgezeichnet wird.

Digitale Aufnahmen können so im ersten Moment ein wenig nüchtern oder kühl klingen, aber man hat trotzdem einen guten Ausgangspunkt um den Klang noch wärmer zu machen:

Harmonische Verzerrung

Viele analoge Geräte erzeugen bei zu hohem Pegel oder auch gezielt Unlinearitäten – Es entstehen zusätzliche Obertöne im Material, welche den Sound deutlich voller oder mit anderen Worten wärmer, aber gleichzeitig auch präsenter erscheinen lassen. Die Preamps von deinem Audiointerface erzeugen solche Obertöne nicht, aber keine Panik: Du kannst sie dir in der Nachbearbeitung mit Saturation, Distortion oder Tape-Emulationen auch auf digitaler Ebene holen.

Kompressoren und Equalizer

In der analogen Welt war es durchaus üblich ein Mikrofonsignal schon vor dem Aufnahmemedium/Band mit EQ und Kompressor zu bearbeiten. Einerseits um die geringe Dynamik besser auszunutzen und andererseits um den Höhenverlust vorher durch einen Boost zu kompensieren. Im digitalen Recording ist all das nicht mehr nötig, da es kaum Höhenverlust gibt und die Dynamik von über 140db bei 24Bit so hoch ist, dass eine Komprimierung vor der Aufnahme nicht nötig ist. Die Kombination aus EQ und Kompressor vor dem Band erzeugt natürlich wieder Obertöne und Unlinearitäten, welche uns als warm erscheinen, aber lasst Euch nicht Eure cleanen und linearen Aufnahmegeräte schlecht reden – Früher haben sich die Ingenieure nach solchen Geräten gesähnt, da es ihnen die Arbeit deutlich einfacher gemacht hätte.

Wenn Ihr trotzdem einen wärmeren Klang such, dann simuliert doch mal digital den eben beschriebenen Prozess – Kompressor->EQ->Tonbandsumulation

Das wird Eure Aufnahmen deutlich realistischer und analoger bzw. wärmer klingen lassen.

Ungleichmäßigkeiten

Tonband und auch andere Geräte haben diverse Eigenheiten, die es so in der digitalen Welt nicht gibt: Gleichlaufschwankungen, Rauschen, Netzbrummen, alternde Bauteile… Keine 2 Kanäle eines Mischults klingen gleich. Dies führt wieder zu einem Hauch mehr Realismus und wärme im Sound. Nachbilden kann man dies durch Modulation, Automation und Einsetzen analoger Emulationen sehr gut auch in der DAW. Man muss sich nur in alte Arbeitsweisen und Limitierungen analoger Geräte hineinversetzen und schon öffnet sich eine neue Welt voller Möglichkeiten.

Warum klingen meine Aufnahmen nicht so warm wie ich es gern hätte?

Es liegt daran, dass Du viele Faktoren, die früher in einer Aufnahmekette sein mussten gar nicht mehr benötigst oder beeinflussen kannst und das ist völlig ok so. Was Du beeinflussen kannst ist Performance, Raum, Mikrofon, Positionierung und Gainstaiging und das kann in der richtigen Kombination auch mit günstigem Equipment einen ordentlichen und durchaus warmen Sound erzeugen. Die restlichen 20% holst Du dir in der Nachbearbeitung indem Du die oben genannten Dinge digital in deiner DAW versuchst nachzubilden.

Ich hoffe ich konnte Euch ein bisschen die Angst vor der digitalen Kälte nehmen und Möglichkeiten gezeigt diese zu umgehen. Lasst mich in den Kommentaren wissen, ob Euch dieses Problem auch schon lönger beschäftigt und Euch diese Denkweise eventuell eine neue Perspektive auf das Thema geben konnte. Detailliertere Techniken um Sounds wärmer zu machen und zu verschönern, gibt es in kommenden Blogeinträgen.

2 Kommentare

  1. Hallo Udo,

    vielen Dank für dem Aufschlussreichen Artikel und ebenso das Video auf Youtube. Ich habe lange im Internet nach diesem Thema gesucht, wenn in Hifi-Foren geht es weniger um Wissenschaft und mehr um „Gefühl“.
    Auf der Suche nach dem perfekten Verstärker ist mir nämlich auch aufgefallen, dass analoge Verstärker „wärmer“ und angenehmer klingen und dachte mir schon, dass das Imperfektionen sind, aber Hifi-Händler scheinen sich damit nicht auszukennen. Aber da ich ungern ein glühenden Klotz im Wohnzimmer stehen habe, suche ich nach einer digitalen Lösung.
    Ich Mastere keine Musik, sondern höre sie nur. Kennst du eine Lösung dennoch diesen warmen Sound aus meiner Anlage zu bekommen. Vielleicht durch einen siplen Equalizer oder ein DSP, den ich zwischen Vor und Endstufe speisen kann?

    Du wärst mir eine große Hilfe!!

    Gruß Moritz

    1. Hallo Moritz,

      danke für deine interessante Frage. Es ist aber sehr schwer aus der Ferne zu beantworten ohne auch dein ganzes Setup zu kennen. Auf welche Weise bzw über welche Geräte spielst Du denn momentan die Musik ab?

      In meiner Erfahrung hat der DA-Wandler (falls die Musikquelle digital ist) den größten Einfluss auf den Gesamtklang und natürlich der Verstärker für die Lautsprecher. Es gibt tatsächlich DA Wandler, die eher musikalisch, warm und „analog“ klingen und dann solche die super sauber, neutral und (für mich) langweilig klingen.

      Ich mag z.B. alles von der Firma Apogee wegen des weichen Klangs, wo Musik hören einfach Spaß macht. Je nachdem was dein Abspielgerät ist kann man da sicher zum Testen mal einen guten Wandler dazwischen schalten. Z.b. der Apogee Rosetta, ist zwar schon ziemlich alt, aber ist heute noch sehr hoch angesehen und hat einen schönen warmen Sound.

      Der Punkt wo die Musik von digital in analog gewandelt wird ist in meinen Augen einer der kritischsten Prozesse in der ganzen Audiotechnik.

      Einen Equalizer würde ich dir nicht empfehlen, weil man den nicht objektiv für jeden Song einstellen kann. Höchstens um den Frequenzgang deiner Lautsprecher zu korrigieren.

      Ansonsten ist auch die Akustik sehr wichtig. Viele nackte Wände = kühler, undefinierter Sound.

      Ich hoffe das hilft!

      Viele Grüße,
      Udo

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